Reichsbanner-Jubiläumswochenende vom 18./19. Oktober in Berlin
Bericht von Nicolas Schmorleitz, Marlon Bünck und Lucas Koppehl
Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold empfing im Rahmen seines 100. Jubiläums in Berlin zahlreiche Gäste. Bundesbauministerin Geywitz sprach beim Jubiläumsempfang, zudem fand ein GDW-Workshop und der erste Reichsbanner-Bundestag seit 1933 statt.
Das Jubiläumswochenende des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold vom 18. und 19. Oktober in Berlin ist vorbei und der Verein um eine Vielzahl von Eindrücken und Erinnerungen reicher. Es ist ein besonderes Jahr, in dem wir uns befinden. Wir zählen das einhundertste Jahr nach der Gründung der Republikschutzorganisation zur Festigung und Verteidigung der Weimarer Republik. Ein runder Geburtstag also, der bereits am 24. Februar 2024 entsprechend feierlich im Landtag von Sachsen-Anhalt in Magdeburg begangen wurde. Und obwohl der Festakt im Frühjahr ein voller Erfolg war, wartete das Jahresprogramm noch mit einem traditionellen Workshop der Gedenkstätte Deutscher Widerstand auf. Selbstredend stand dieser unter dem Vorzeichen des Gründungsjubiläums, bot aber abgesehen von seinem historischen Anlass die Gelegenheit, die Gesangskünste und das multimediale Verständnis der Kameradinnen und Kameraden auf die Probe zu stellen. Doch der Reihe nach.
Jubiläums-Empfang über den Dächern Berlins mit Bundesministerin Geywitz
Das Programm begann am Freitagabend im „alten“ West-Berlin mit einem Jubiläumsempfang mit vielen Freunden, Partnern und Mitgliedern des Verbandes. Zwischen KaDeWe und Gedächtniskirche wurden die Gäste in der Pan Am Lounge empfangen, in welcher die Servicekräfte die Gäste in stilechten Uniformen durch den Abend begleiteten und wunderbar bewirteten. Umso mehr der gemütliche Teil des Abends sichtlich im Vordergrund stand, desto konzentrierter und nachdenklicher folgten die anwesenden Gäste den Redebeiträgen des Bundesvorsitzenden Dr. Fritz Felgentreu und Bundesministerin Klara Geywitz.
Während Felgentreu das turbulente Jahr, das Programm, die gemeinschaftliche Arbeit mitsamt den Anstrengungen und den Verdiensten der Organisatoren, aber auch bestimmte Erlebnisse revue passieren ließ, würdigte die Ministerin die historische Rolle des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Sie verwies dabei insbesondere auf die Prinzipien und Werte, für die das Reichsbanner seit jeher eingestanden ist und wofür ihre Mitglieder ihre Gesundheit riskierten und etwa 60 Kameraden ihr Leben ließen. Weiterhin betonte sie, dass es heute der Selbstvergewisserung aus dem Inneren der Menschen für den Erhalt der demokratisch-republikanischen Gesellschaft mit anderen Mitteln und unter veränderten Vorzeichen bedürfe. Gelänge dies nicht, sei die Demokratie in Deutschland ernsthaft bedroht. Miteinander sprechen und aufeinander zugehen, sich nicht von Verächtern der Demokratie auseinanderdividieren lassen: Der Appell verhallte nicht ohne Echo in der Zuhörerschaft, sondern zog eine einheitliche überzeugte Reaktion auch in den Reihen der Kameradinnen und Kameraden nach sich.
Die Gelegenheit nutzend zeichnete der Bundesvorsitzende abschließend noch den Kameraden Julian Richter aus, der über viele Jahre hinweg zahlreiche Objekte der Reichsbanner-Geschichte sammelte und diese der Gedenkstätte überlassen hat. Ihm ist damit die Sicherung dieser wertvollen Zeitzeugnisse zu verdanken. Der Abend klang in entspannter, geselliger Atmosphäre aus und wurde hier wie dort genutzt, um sich kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen, Freundschaften zu pflegen und sich zu vernetzen.
Workshop der Gedenkstätte Deutscher Widerstand
In Erwartung des inhaltlich wie didaktisch gleichermaßen anspruchsvollen Workshops versammelten sich die Kameradinnen und Kameraden am Samstagmittag in den Räumlichkeiten der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im historischen Bendlerblock. Abgesehen von ein paar durch den Mittagsimbiss aufgehaltenen Nachzüglern füllten die Zuhörer den Saal bei Veranstaltungsbeginn bis auf den letzten Sitzplatz. Nach eingehender Begrüßung durch Fritz Felgentreu fuhr der Leiter der Gedenkstätte Professor Johannes Tuchel mit Ausführungen zum aktuellen Forschungsstand und gegenwärtigen Forschungsperspektiven fort.
Hocherfreut zeigten sich alle Anwesenden über die Übergabe der alten Reichsbanner-Fahne aus Hamburg-Rahlstedt, die Axel Sellmer aus Hamburg an diesem Tag mitgebracht hatte und der Gedenkstätte feierlich übergab. Die Fahne hatte über SPD-Kontakte auf abenteuerliche Weise die Zeiten in einem Dachfußboden überlebt und war in seine Hände geraten. Fritz Felgentreu und Johannes Tuchel dankten Sellmer herzlich für die Übergabe, die nach ihrer Restaurierung künftig im Reichsbanner-Schaudepot der Gedenkstätte zu sehen sein wird.
Für den Hauptteil des Workshops war Dr. Niels Schröder gewonnen worden, der sich in jüngerer Vergangenheit durch Konzeption und Gestaltung von historischen Graphic Novels einen Namen gemacht hatte. Im Rahmen der Vorstellung von Schröders letztem abgeschlossenen Projekt bekam das Publikum eindrücklich vermittelt, was das Format „Graphic Novel“ in der Geschichtsvermittlung leisten kann. Inhaltlich setzte sich Schröder mit dem politischen Leben von drei Protagonisten während der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus auseinander, die sich für das Reichsbanner engagiert und gegen die Gewalt der Nationalsozialisten zur Wehr gesetzt hatten. Porträtiert wurde zum einen die Politikerin und Journalistin Tony Sender in ihrem New Yorker Exil. Verwoben in diesen Erzählungsstrang begleitet Schröder zudem die Reichsbannermitglieder und späteren Widerstandskämpfer Theodor Haubach und Julius Leber, die sich gegenseitig unterstützten und vor politischer Verfolgung schützten. Die Erzählung endet mit der Verurteilung und Hinrichtung beider männlicher Protagonisten nach dessen Verhaftung im Zuge der nationalsozialistischen Verfolgung der Verschwörer des 20. Juli 1944. In diesem Kontext werden auch der Entstehungs-, bzw. Sammlungsprozess, die Überlegungen, Planungen und Rezeption des militärischen Widerstands um Claus Schenk Graf von Stauffenberg in die Handlung miteinbezogen. Mehr Informationen zum Graphic Novel „Widerstand“ hier.
Äußerst anregend verlief in der Folge die Frage- und Diskussionsrunde, in der sich eine proaktive und facettenreiche Debatte in Gang setzte, die für Sinnhaftigkeit und Ziele der Geschichtsvermittlung durch Graphic Novels nur förderlich sein kann. So nahm der Referent sicherlich, neben reichlich Lob und konstruktiver Kritik, auch Anregungen und Impulse auf, die bei der künftigen Weiterentwicklung dieses Formats hilfreich sein könnten. Nach der Veranstaltung stand Herr Schröder für die sich in anderthalb Stunden angesammelten Fragen und persönlichen Austausch zur Verfügung. Am frühen Abend gegen 17.00 Uhr erreichte der Workshop sein Ende. Angesichts der langen Diskussion, der großen Anzahl von Rückfragen und des von Anfang bis Ende prall gefüllten Saals kann die Veranstaltung nur als ein voller Erfolg bezeichnet werden. All das sind beste Vorrausetzungen für eine Fortsetzung in einem weiteren Graphic Novel.
Mit Gesang: Erster Reichsbanner-Bundestag seit 1933
Seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 hat es keinen Bundestag des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold mehr gegeben. Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Reichsbanners fand in Berlin erstmalig dieses Format der deutschlandweiten Mitgliederversammlung wieder statt.
In der traditionsreichen Berliner Arbeiterkneipe „Anna Koschke“ begann die Veranstaltung pünktlich um 20.00 Uhr mit einem bedeutungsvollen Moment der Stille, gefolgt von warmem Applaus: Marlon Bünck, der stellvertretende Bundes- und Landesvorsitzende des Reichsbanners Berlin-Brandenburg, begrüßte im Namen des Landesverbandes über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum ersten Reichsbanner-Bundestag seit 1933 – gleichzeitig auch die Wiederbelebung einer alten Tradition. Es folgte ein Grußwort des stellvertretenden Bundesvorsitzenden Dirk Sielmann, der die Bedeutung dieses Abends ebenfalls eindrücklich unterstrich. Er dankte dem Landesverband Berlin-Brandenburg für die Initiative und Idee für die inhaltliche Ausgestaltung des Abends.
Der Reichsbanner-Bundestag, eine jährliche Vollversammlung zur Förderung des geselligen Zusammenseins und des Austauschs, hatte im alten Reichsbanner großen Stellenwert. In seiner Begrüßungsrede erinnerte Bünck an die Werte und Traditionen des Reichsbanners und betonte die Bedeutung der Farben Schwarz-Rot-Gold als Symbol für eine wehrhafte Republik und ein demokratisches Deutschland.
Im Mittelpunkt des Abends stand jedoch die Musik. Mit dem Festvortrag „Die Rolle der Musik im Reichsbanner“ führte Bünck in die musikalischen Traditionen des Reichsbanners ein und zeigte auf, wie Musik als Ausdruck republikanischer Werte und als Stärkung des Gemeinschaftsgefühls diente. Musik sei im Reichsbanner weit mehr als bloße Begleitung gewesen; sie stärkte die Bindung an die Republik und förderte die kollektive Identität. Bünck erläuterte, dass das Reichsbanner eine ausgeprägte musikalische Organisationsstruktur besaß: In jeder Kameradschaft (ca. 100 Mann) gab es auf Wunsch des Bundesvorstandes mindestens drei Trommler und Pfeifer; aus diesen Gruppen bildeten sich Kapellen mit bis zu 30 Musikern. Diese Kapellen hatten eine zentrale Funktion bei Feiern, Umzügen, Beerdigungen sowie Gedenkveranstaltungen und waren ein fester Bestandteil der Vereinskultur des Reichsbanners.
Über den Abend verteilt wurden gemeinsam drei Lieder gesungen, deren ausgelegte Liedertexte aus einem der Original-Liederbücher des Reichsbanners stammten. Ein besonderes Erlebnis, muss doch verdeutlicht werden, wie lange das alte Reichsbannerlied „In Kümmernis und Dunkelheit“ nicht mehr erklungen sein mag. Begleitet wurden die Lieder durch die Pianistin Alina Pronina vom Staatsballett Berlin. Der Abend endete mit der Nationalhymne, die als Höhepunkt diesen äußerst gelungenen 1. Bundestag abrundete.
Vorläufiges Fazit des Jubiläumsjahres
Nach dem offiziellen Festakt am 22. Februar in Magdeburg, dem Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Reichsbanner-Schaudepot am 20. Juli, der Ausstellungseröffnung im Deutschen Bundestag durch ihre Präsidentin Bärbel Bas am 25. September, bildete dieses Jubiläumswochenende den vorläufigen symbolischen Abschluss der offiziellen Feierlichkeiten zum 100. Gründungstag des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Vereinsseitig kann festgestellt werden, dass die Aufmerksamkeit auf das Reichsbanner in diesem Jahr erheblich gesteigert werden konnte – zahlreiche Berichte in den Medien in Schrift, Bild und Ton sind die Folge der zahlreichen großen und kleinen Veranstaltungen dieses Jubiläumsjahres. Mit einem enormen Kraftakt, der nur Dank der vielen Partner und Unterstützer des Reichsbanners gelang, geht der Verein gestärkt und motiviert in das nächste Jahrhundert. Stets für die freie Republik.
Impressionen
Bilder: Christoph Neubauer (Jubiläumsempfang), Christin Sandow (Workshop), Thomas Meyer (RB-Bundestag)