Jubiläumsfeierlichkeiten zum 100. Gründungstag
Am 22. Februar beging das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gemeinsam mit dem Landtag von Sachsen-Anhalt sein 100. Gründungsjubiläum im Magdeburger Plenarsaal und weiteren Veranstaltungen. Den Abschluss bildete eine Serenade der Bundeswehr auf dem Domplatz.
Bericht von Jörg Sommer, Pressereferent
100 Jahre – und kein bisschen leise: Am 22. Februar 1924 wurde in Magdeburg Geschichte geschrieben. Deutschland stand noch unter dem Eindruck der schweren politischen Unruhen des Jahres 1923 mit faschistischen und kommunistischen Putschversuchen und Aufständen. Die Weimarer Republik als erste Demokratie auf deutschem Boden war gefährdet. Deshalb gründeten Sozialdemokraten, Mitglieder der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und des Zentrums eine Organisation, die die Republik verteidigen und die Verfassung schützen sollte. Ein knappes Jahrzehnt später wurde das Reichsbanner, dem bis zu drei Millionen Mitglieder angehörten, von den Nazis verboten. Seine Mitglieder wurden verfolgt, inhaftiert, ermordet und ins Exil getrieben. Auf den Tag genau 100 Jahre später beging das Reichbanner sein 100-jähriges Jubiläum am selben Ort.
Wieder in Magdeburg
Gemeinsam mit dem Landtag von Sachsen-Anhalt lud das heutige Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V. zu einem Festakt im Magdeburger Plenarsaal und weiteren Veranstaltungen. Bereits im Vorfeld war das Medienecho groß. Der Deutschlandfunk berichtete ebenso wie der MDR, in den meisten Tageszeitungen wurde auf das Jubiläum und die Geschichte des Verbandes hingewiesen. Politische Prominenz wie Bundesministerin Klara Geywitz, Ministerpräsident Rainer Haseloff, die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und zahlreiche weitere Spitzenpolitiker hatten sich angekündigt. Entsprechend erwartungsvoll reisten über 150 Kameraden aus dem ganzen Bundesgebiet an, ebenso wie weitere rund 100 Ehrengäste. Der Tag begann mit einer ökumenischen Morgenandacht im historischen Magdeburger Dom unter der Leitung von Regionalbischof Dr. Dr. h. c. Johann Schneider und Domkapitular und Pfarrer Daniel Rudloff.
Großes Medieninteresse
In der anschließenden Pressekonferenz stellten sich Bundesvorsitzender Dr. Fritz Felgentreu gemeinsam mit seinen beiden Stellvertretern Diana Bäse und Marlon Bünck den Fragen der Journalisten, unterstützt von Prof. Dr. Johannes Tuchel, dem Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Besonders beschäftigte die zahlreichen Pressevertreter die Frage nach den Parallelen der aktuellen Entwicklungen zur Zeit vor 1933. Fritz Felgentreu wies darauf hin, dass die freiheitliche Demokratie immer auch innere Feinde habe, heute aber entschieden wehrhafter aufgestellt sei. Aber man könne sich nicht darauf ausruhen: „Zu glauben, die Demokratie sei jemals sicher vor ihren Feinden – das ist ein Trugschluss“, so Felgentreu.
Johannes Tuchel betonte, dass das historische Beispiel der Reichsbanner-Gründung auch eine Mahnung an uns alle sei: „Wie viel einfacher, ist es heute, sich in der Demokratie zu engagieren. Wenn es etwas gibt, das wir vom historischen Reichsbanner lernen können, dann dass demokratisches Engagement möglich ist.“ Marlon Bünck stellte die positive Entwicklung des Reichsbanners in den vergangenen Jahren heraus, insbesondere dessen Attraktivität für die jüngere Generation: „Nahezu die Hälfte unserer Mitglieder ist heute unter 40 Jahre alt.“
Ausstellung im Landtag
Im Anschluss eröffnete Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger gemeinsam mit Johannes Tuchel im Foyer des Landtages die von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand entwickelte Ausstellung „Für Freiheit und Republik! Das Reichsbanner Schwarz‐Rot‐Gold im Kampf für die Demokratie 1924─1933“. Sie umfasst 27 Tafeln und zeichnet auch anhand von Einzelschicksalen den Kampf von Kameraden des Reichsbanners für die demokratische Republik nach. Sie kann bis zum 11. April im Landtag besichtigt werden.
Ein Festakt mit klaren Worten
Höhepunkt des Tagesprogramms war der folgende Festakt mit geladenen Gästen im Plenarsaal des Landtages. Landtagspräsident Schellenberger wies in seinem Grußwort darauf hin, dass wir auch heute wieder zur Verteidigung der Demokratie aufgerufen sind: „Die Republik und die Demokratie verteidigen ist der Geist, den das Reichsbanner vor genau 100 Jahren ins Leben rief. Vor einigen Jahren haben wir alle geglaubt, unsere Demokratie ist gefestigt und nichts kann sie ins Wanken bringen. Diese Zeiten sind vorbei. Heute müssen wir uns wieder stärker auf unsere republikanischen und demokratischen Grundwerte besinnen … Es ist wieder an der Zeit, dass wir uns zur Republik, zur Demokratie, zu Toleranz und Völkerverständigung bekennen. Auch nach 100 Jahren braucht es aufrechte Demokraten, die bereit sind, die Demokratie und Einigkeit, das Recht und die Freiheit zu verteidigen.“
Die Oberbürgermeisterin von Magdeburg, Simone Borris, warf einen Blick zurück in das Magdeburg der Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, in die „kurze, aber intensive Zeit der ersten deutschen Demokratie in Magdeburg“, die maßgeblich von Sozialdemokarten geprägt war: „Diese Ära der Sozialdemokraten zeigte unter anderem, wie verwurzelt das Führungspersonal des Reichsbannerbunds in Magdeburg war. Unser damaliger Oberbürgermeister Hermann Beims zählte zu den Gründungsmitgliedern – genauso wie auch der Widerständler Ernst Wille. Vor allem aber Otto Hörsing, der als Oberpräsident der Provinz Sachsen am Domplatz seinen Sitz hatte, lenkte als Bundesvorsitzender die Geschicke des Reichsbanners. Ebenso sein Stellvertreter und späterer Nachfolger Karl Höltermann, der bereits als „Volksstimme“-Redakteur sozialdemokratische Gedanken verbreitet hatte. Welch breite Zustimmung das Reichsbanner in unserer Stadt fand, zeigte sich, wenn sich Hunderttausende zu Kundgebungen auf dem Domplatz versammelten.“
64 Reichsbanner-Leute seien noch vor dem Verbot des Verbands ermordet worden, auch deren Kampf und das Opfer dieser Menschen werde bei der heutigen Festveranstaltung gewürdigt, erinnerte Fritz Felgentreu und betonte weiter: „Die Werte des Reichsbanners müssen uns heute genauso wichtig sein wie der Weltkriegsgeneration vor hundert Jahren“. Das sichtbare Symbol dieser Werte seien die Farben Schwarz, Rot und Gold. Das Reichsbanner hatte unter diesen Farben dem aggressiven Nationalismus, dem Antisemitismus und der Unterdrückung von Minderheiten den Kampf angesagt. Den Rechtsnationalen von heute rief er zu: „Lassen Sie Ihre Finger von den Farben der Freiheit!“ Wer in Hinterzimmern über die Deportation von Menschen spreche, der habe weit über jede sittliche Grenze hinaus bewiesen, wes Geistes Kind er oder sie sei. „Die Verteidigung von Freiheit und Demokratie hört nie auf“, mahnte Felgentreu. Die Massendemonstrationen der letzten Wochen machten deutlich, wie sehr sich die Menschen im Land mit dem demokratischen Prinzip identifizierten: „Die Republik, sie lebe hoch! Freiheit!“
In seinem Festvortrag ging der Historiker Prof. Benjamin Ziemann von der Universität Sheffield ausführlich auf die Gründungsgeschichte des Reichsbanners ein. „Die Gründung des Reichsbanners stand im Zeichen der Überparteilichkeit. Der Verband brachte Vertreter der SPD, der DDP und des katholischen Zentrums zusammen“, erinnerte Ziemann. Wichtig für die Arbeit des Reichsbanners sei die zivilgesellschaftliche Aktivierung seiner Mitglieder gewesen. Diese hätten sich in ihrer karg bemessenen Freizeit – seit 1924 war die Arbeitswoche für die meisten Arbeiter wieder 48 Stunden lang – für die republikanische Sache eingebracht. Zudem engagierte sich das Reichsbanner gegen Antisemitismus in jeglicher Form. Das machte bereits sein Gründungsaufruf deutlich.
Die 1919 in Weimar geschaffene Verfassungsordnung sei keine „Republik ohne Republikaner“ gewesen, wie es oft kolportiert werde. „Die schiere Größe und die vielfältigen Aktivitäten des Reichsbanners widerlegen diese These“, betonte Ziemann. „Wenn wir uns heute, im Februar 2024, an die Gründung des Reichsbanners erinnern, dann geschieht das vor dem Hintergrund einer wachsenden Bedrohung der parlamentarischen Demokratie nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in anderen Ländern Europas und darüber hinaus.“ Zugleich halte die Geschichte des Reichsbanners uns heute den Spiegel vor: Trotz seiner starken Anhängerschaft und trotz seines aktiven Eintretens gegen die nationalsozialistische Bewegung habe das Reichsbanner die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 und alle Folgen nicht verhindern können.
Die Weimarer Republik sei allerdings nicht untergegangen, weil es an engagierten Demokraten gefehlt habe, die Machtergreifung der NSDAP sei vielmehr nur möglich gewesen, weil Teile der politischen Eliten die Zerstörung der Demokratie befördert und weil Kerninstitutionen des Verfassungsstaates, darunter vor allem der Reichstag und die Spitzen der Justiz, durch permanente Regelverstöße blockiert und in ihrer Substanz ausgehöhlt worden seien. „Es ist gerade in der heutigen Situation wichtig daran zu erinnern, dass in der Weimarer Republik Hunderttausende gegen die Bedrohung von Rechtsaußen auf die Straßen gingen“, betonte Ziemann. „Aber die Verteidigung der Demokratie gegen ihre Gegner und Verächter – auch daran gilt es heute zu erinnern – kann nur dann gelingen, wenn die wichtigsten Institutionen des parlamentarischen Staates intakt und voll funktionsfähig sind.“
Eine bleibende Erinnerung
Im Anschluss an den Festakt wurde auf dem Domplatz unmittelbar vor dem Landtag eine Stele zum Gedenken an den Verband und dessen historische Gründung vor 100 Jahren in Magdeburg enthüllt. Sie wurde gemeinsam von Oberbürgermeisterin Simone Borris und dem Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Prof. Dr. Johannes Tuchel, eingeweiht. Die Zeremonie endete mit einer Kranzniederlegung von Reichsbanner, Landeshauptstadt Magdeburg, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Landtag von Sachsen-Anhalt und Bundesverteidigungsministerium unter militärischen Ehren der Bundeswehr.
Das Reichsbanner habe sich durch die Verteidigung der Demokratie und damit der Weimarer Republik verdient gemacht, erinnerte Prof. Dr. Johannes Tuchel. Im April 2018 hatte die Gedenkstätte Deutscher Widerstand einen Gestaltungswettbewerb für eine Gedenkstele ausgelobt, deren Ergebnis dann in der Kunsthochschule Burg Giebichenstein umgesetzt wurde. Er kündigte an, dass Stelen dieser Art ‒ die einen dem Wappen des Reichsbanners nachempfundenen „Strahlenkranz“ zeigen ‒ zukünftig an weiteren Wirkungsstätten des Reichsbanners in ganz Deutschland aufgestellt würden.
Siemtje Möller, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung, wies darauf hin, dass das Reichsbanner ein glänzendes Beispiel für einen überparteilichen Zusammenschluss geboten habe. Solche Beispiele seien gerade jetzt wichtiger denn je: „Wenn wir uns die Entwicklungen der letzten Wochen – eigentlich Jahre anschauen, dann wird einem bewusst, dass dieses historische Datum – dieses Jubiläum – aktuell kaum relevanter sein könnte … Wir müssen heute leider – wie zu den Anfängen des Reichsbanners – feststellen, dass Radikalisierung und Extremismus unseren Rechtsstaat herausfordern. Erwiesene Rechtsextremisten sitzen in den Reihen unserer Landtage und auch im Bundestag, rechtsnationalistisches Gedankengut hat wieder Einzug in unsere Parlamente gefunden – mit erschreckenden Zustimmungswerten und Parallelen zu den Anfängen des Nationalsozialismus in der Zeit der Weimarer Republik.“ Sie zeigte sich erfreut, dass das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold sich bis heute für die freiheitliche Demokratie einsetze: „Auch heute trägt das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold mit seiner politischen und historischen Bildungsarbeit ebenfalls zu einer mündigen und wertegebundenen Entscheidungskompetenz in unserer Gesellschaft bei.“
Serenade im Fackelschein
Seinen Abschluss fand das Festprogramm zu 100 Jahre Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold am Abend mit einer öffentlichen Serenade durch die Bundeswehr sein Ende. Auf dem Domplatz, im Hintergrund der über 800 Jahre alte Magdeburger Dom, waren die Musiker des Heeresmusikkorps Kassel und Fackelträger des Wachbataillons aufgezogen um in Anwesenheit von Generalmajor Andreas Henne, stellvertretender Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr und dem Bundesvorsitzenden historische Reichsbanner-Märsche darzubieten.
Diese Serenade ist eine außergewöhnliche feierliche Militärzeremonie. Zu Ehren des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold wurden dabei im Fackelschein drei historische Musikstücke und die Nationalhymne in angetretener Ehrenformation gespielt. Die gespielten Reichsbanner-Märsche, die wahrscheinlich seit der Machtergreifung 1933 nicht mehr gespielt worden sind – wurden erst kürzlich in einem Kooperationsprojekt der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und dem Musikkorps der Bundeswehr in Siegburg auf Grundlage historischer Aufnahmen neu arrangiert. Die ursprünglichen Noten galten als verschollen.
Diesen einzigartigen historischen Moment miterleben zu dürfen, war für alle Anwesenden bewegend. Nicht wenige Kameraden des Reichsbanners hatten am Ende dieses Tages Tränen in den Augen. Das galt auch für Lucas Koppehl, Bundesgeschäftsführer des heutigen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, auch für ihn war der Rückblick zugleich Ehrung, aber auch Mahnung: „Das Reichsbanner und die Werte, für die es steht, vermag unsere Gesellschaft zusammenzuhalten – das demokratische Nationalbewusstsein ist der emotionale Kitt unseres Landes. Demokratie, Freiheit, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit sind Werte, die wir heute genauso achten und verteidigen wollen, wie vor 100 Jahren. Deshalb blicken wir respektvoll zurück – und zugleich mutig und entschlossen nach vorn.“
Danksagung
Fest steht, dass die Veranstaltungen an diesem 22. Februar 2024 ohne die erhebliche Unterstützung und Zusammenarbeit einer Vielzahl von Einrichtungen nicht möglich geworden wäre. Allen voran ist dem Landtag von Sachsen-Anhalt großer Dank für die Möglichkeit der Ausrichtung in seinem Hause auszusprechen. Hinzu kommen die Landeshauptstadt Magdeburg, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, das Bundesministerium der Verteidigung und die Evangelische sowie Katholische Kirche. Zahlreiche Behörden und Einrichtungen der genannten Hauptpartner haben mit hohem persönlichem Einsatz und in kollegialer Zusammenarbeit dieses Jubiläum zu einem historischen Tag gemacht. Dafür gebührt ihnen seitens des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold großer Dank. Nach langer Zeit ist das Reichsbanner in seine Gründungsstadt zurückgekehrt – das werden seine Mitglieder nie vergessen.
Impressionen
(c) Bilder: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Fotograf: Stefan Deutsch, Magdeburg
Weiterführendes & Downloads
Bilder & Videos
komplette Bildergalerie 22.02.2024
Berichterstattung des Landtages von Sachsen-Anhalt
Video Festakt Landtag von Sachsen-Anhalt
Video Pressegespräch Landespressekonferenz Sachsen-Anhalt
Morgenandacht
Predigt Regionalbischof Evangelische Kirche in Mitteldeutschland Dr. Dr. h.c. Johann Schneider
Ausstellungseröffnung
Ansprache Präsident des Landtags von Sachsen-Anhalt Dr. Gunnar Schellenberger
Festakt
Grußwort Präsident des Landtags von Sachsen-Anhalt Dr. Gunnar Schellenberger
Grußwort Oberbürgermeisterin der Stadt Magdeburg Simone Borris
Ansprache Bundesvorsitzender Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold Dr. Fritz Felgentreu
Festrede Prof. Benjamin Ziemann, Universität Sheffield
Steleneinweihung
Ansprache Oberbürgermeisterin der Stadt Magdeburg Simone Borris
Ansprache Leiter Gedenkstätte Deutscher Widerstand Prof. Dr. Johannes Tuchel
Ansprache Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung Siemtje Möller