Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V. Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V.

Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V. - Reichsbanner und Gedenkstätte besuchen Breslau

16.09.2023

Reichsbanner und Gedenkstätte besuchen Breslau

Während der Studienfahrt der Gedenkstätte Deutscher Widerstand vom 5.-10. September 2023 wurde u.a. mit der jüdischen Gemeinde das restaurierte Grabmal des Reichsbanner-Mannes Hans Alexander eingeweiht. Ebenso besuchten Vereinsvertreter das Grab von SPD-Mitbegründer Ferdinand Lassalle.

Ein Bericht von Nicolas Schmorleitz, Vereinsmitglied

Gleich mehrere sehr willkommene Anlässe bewogen die gemeinsame Reisegruppe, bestehend aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, die Studienfahrt nach Breslau (polnisch: Wroclaw) anzutreten. Da war zum einen die Vorfreude darauf, nach vielen Jahren wieder gemeinsam das Ausland zu erkunden und sich spätestens mit dieser Fahrt von den Begleitumständen der Pandemiezeit zu lösen. Zum anderen lud die Region Schlesien seit jeher dazu ein, dem gemeinsamen geschichtlichen Wirkungsraum von Polen, Habsburgern, Tschechen und Deutschen in einem europäischen Kontext zu begegnen. Jener zweite Anlass war es, der der Gruppe am Ankunftstag, dem Dienstag, durch die Gestaltung des Stadtrundgangs mit unserer Reiseführerin Renata Bardzik-Milosz erst bewusstwerden sollte. Frau Bardzik-Milosz führte uns am Dienstagnachmittag nach dem Check-In in der Unterkunft durch die Stadt, sodass uns ein erster Einblick in die topographischen, kulturellen und städtebaulichen Gegebenheiten der niederschlesischen Hauptstadt Polens geboten wurde. Im Zentrum standen hierbei wichtige Etappen des deutsch-polnischen Verhältnisses im 20. Jahrhundert, die trotz des stadtgeschichtlichen Schwerpunkts der Führung geschickt in die Erzählung verwoben war.

Gedenken an Hans Alexander

Der dritte Anlass der Studienfahrt verbirgt sich hinter einem besonderen Jahrestag, den man um ein paar Tage verspätet am Mittwoch nachholte. Es war dies der 90. Todestag des Reichsbanner-Ortsvorsitzenden von Breslau, Hans Alexander, der noch im Jahr der Machtübertragung an Adolf Hitler und die Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Dürrgoy und später nach Esterwegen im Emsland verschleppt und dort erniedrigt und erschossen wurde. Alexander, der 1890 in eine jüdische Breslauer Familie geboren wurde, agierte den wenigen noch erhaltenen Quellen zufolge als Geschäftsführer und Ortsvorsitzender und nahm für das Reichsbanner auch in der schlesischen Region eine tragende Rolle ein. Er betätigte sich zudem in der SPD und widerstand der aggressiven mentalen und physischen Auseinandersetzung mit dem Stahlhelm und den Nationalsozialisten von der SA auf der Straße. Alexander, der wie viele jüdische Frontkämpfer den Beweis erbracht hatte, dass überproportional viele assimilierte deutsche Juden größtenteils aus einem persönlichen Verantwortungsgefühl heraus ab 1914 für das Deutsche Reich in den Krieg zogen, erging es wie vielen anderen Kameraden. Ihnen wurde der Einsatz mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit nicht gedankt. Auch Alexanders Verweis auf Auszeichnungen mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse half ihm und anderen, wenn überhaupt, nur temporär vor antisemitischer Verfolgung. So fand am Mittwochvormittag eine lang ersehnte Würdigung im Rahmen einer großen Gedenkveranstaltung auf dem städtischen jüdischen Friedhof für Hans Alexander statt. Bis heute befindet sich dort das Grab Alexanders, das durch einen neu gestalteten Gedenkstein ergänzt wurde. Die Enthüllung schloss sich an einen Gedenkakt für Alexander an, dem neben dem Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Professor Johannes Tuchel und dem Reichsbanner-Ehrenvorsitzenden Johannes Kahrs eine große Zahl von Gästen beiwohnte. Darüber hinaus nahmen die Nachkommen aus der Familie Hans Alexanders sowie der Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde Jerzy Kichler, der Historiker und Autor einer Arbeit über Alexander Roland Müller sowie Frau Renata Wilkoszewska-Krakowska aus dem Museum für Friedhofskunst für Wroclaw an der Gedenkstunde teil.

In den Reden wurden vor allem die historischen Verdienste Hans Alexanders um das Breslauer Reichsbanner und um die Wehrhaftigkeit der Weimarer Republik wie ihrer Demokraten hervorgehoben. Die Bedeutung Alexanders für die heutige jüdische Community in Breslau und die Notwendigkeit, dass sich die polnische Bevölkerung mit dem deutschen Erbe auch anhand bedeutender Persönlichkeiten auseinandersetzt, wurden als wichtige Beiträge zur deutsch-polnischen Verständigung herausgestellt. Blinde Flecken in der deutsch-polnischen Erinnerungskultur aufzuarbeiten und darüber in Dialog zu treten, trug zur Emotionalität der Veranstaltung besonders im Kontext der Rede des Urenkels Hans Alexanders, Akiva Gardner, bei, dessen Familie heute in Großbritannien lebt. Die Tatsache, dass sich Nachkommen Alexanders den weiten Weg gemacht haben, zeigt schon allein wie groß der Wunsch nach historischer Vergewisserung und Aufarbeitung, durch die bis dato kaum existente Erinnerung an Alexander, auch in der Familie gewesen sein muss. Eine historische Persönlichkeit, die fast vergessen worden wäre. Die Gedenkstunde endete mit der Niederlegung eines Kranzes durch das Reichsbanner am Grabstein Alexanders und der erwähnten Enthüllung des Gedenksteins. Dazu wurde ein Kaddisch gesprochen.

Besuch von Kreisau und jüdische Spuren in Breslau

Wenngleich der Mittwoch als erster voller Tag in Breslau im Zeichen der Gedenkveranstaltung stand, bestimmte die Fahrt nach Kreisau (polnisch: Krzyzowa) den Donnerstag. Die Beschäftigung mit dem historischen Landwirtschaftsgut als Tagungsort des Kreisauer Kreises, mit der Motivation der Verschwörer, mit der Zusammensetzung des Kreises, mit dessen Zielen und dessen Platz in der deutschen Geschichte war einerseits aus wissenschaftlicher Perspektive prägend. Die Geschichte des Ortes erfuhr mit der dort gefeierten Versöhnungsmesse zwischen Helmut Kohl und Tadeusz Mazowiecki am 12. November 1989 eine entscheidende Wendung, die die Nutzung des maroden Gutsgeländes in ihrer sinnstiftenden Art nachhaltig veränderte. Die weitere Einführung Dominik Kretschmanns, der als Deutscher die Stiftung Kreisau leitet, und uns die Genese Kreisaus zur Begegnungsstätte zwischen Polen, Deutschen und jungen Menschen anderer Nationen näherbrachte, rundete den Besuch ab. Den Abschluss bildete ein gemeinsamer Spaziergang zum Kapellenberg. Auf dem Weg blieb genug Zeit um vor den Gedenksteinen Halt zu machen, die in Erinnerung an Helmuth James von Moltke, den ehemaligen Gutsbesitzer und Mitbegründer des Kreisauer Kreises und weitere Familienangehörige errichtet wurden. Der letzte Zielpunkt war das Mausoleum des Generalfeldmarschalls Helmuth von Moltke, der das Gut Kreisau einst 1867 erworben hatte.

Die Programmpunkte am Freitag schlossen unter dem inhaltlichen Schwerpunkt „Jüdische Spuren in Breslau“ an die Biographie Hans Alexanders an. Im Verlauf des Vormittags verschafften wir uns unter tatkräftiger Mithilfe von Frau Bardzik-Milosz einen Überblick über das Erbe, das Jüdinnen und Juden ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Popularität Breslau und dem heutigen Wroclaw hinterlassen haben. Edith Stein, Max Born, Fritz Haber, Clara Immerwahr-Haber, Ferdinand Lassalle, Bernhard Schottländer, Norbert Elias, Dietrich Bonhoeffer, Katharina Staritz und Willy Cohn sind nur einige jener Personen, deren Lebensläufe mit Breslau zu deutscher Zeit eng verbunden sind. Es waren Persönlichkeiten, die die Blüte jüdischen Lebens prägten oder miterlebten und zu Chronisten der Hoffnung, der Zuversicht und des Leids wurden, welches sie dokumentierten. Zentraler Ort jüdischen Lebens ist das jüdische Viertel mit der Synagoge zum Weißen Storch als dessen kulturellen und religiösen Zentrum. Doch auch städtebaulich existieren noch einige auf den ersten Blick unauffällige Zeugnisse jüdischen Lebens, die heute wieder zu Motiven des modernen Breslau geworden sind. Den Nachmittag gestaltete die Gruppe individuell, wobei die Möglichkeit bestand sich zwischen zwei Programmpunkten zu entscheiden. Im Rahmen einer Führung durch den Alten Jüdischen Friedhof gedachten Vertreter des Reichsbanners am Grab von SPD-Mitbegründer Ferdinand Lassalle. Alternativ bestand das Angebot, sich das am Rynek gelegene Museum „Pan Tadeusz“ und die darin beherbergte Ausstellung „Mission Polen“ anzusehen, die die Geschichte der kommunistischen Volksrepublik Polen unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs thematisiert.

Besuch des ehemaligen KZ Groß-Rosen

Der letzte Tag der Studienfahrt vor der Abreise wurde dazu genutzt, um einen von der deutschen Öffentlichkeit vielfach übersehenen oder zumindest weniger wahrgenommenen historischen Ort beispielloser Verbrechen und Grausamkeit zu besuchen: das Konzentrationslager Groß-Rosen. Viele Bürger in Deutschland stoßen allenfalls bei der Lektüre historischer Abhandlungen oder einer gründlicheren Auseinandersetzung mit den geographischen schlesischen Gegebenheiten auf Groß-Rosen. Das Ausmaß von Leid, Erniedrigung, Versklavung, Terror und Gewalt steht aufgrund der geographischen Nähe zu Auschwitz oft in dessen Schatten. Diese Wissens- und Erfahrungslücke hat die Reisegruppe für sich geschlossen und eine umfassende kontextbasierte, inhaltliche Einführung erhalten. Es folgte nach intensiver Beschäftigung mit der Geschichte Groß-Rosens eine Besichtigung des gesamten erhaltenen Geländes und der Topographie des Ortes, der innerhalb von wenigen Jahren bis 1943 zu einem der größten Konzentrationslager Europas wurde. Nach langem Fußmarsch und sich häufenden Ermüdungserscheinungen ergab sich die Möglichkeit einer Mittagspause zur Stärkung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Abgeschlossen wurde der Besuch mit einem Vortrag der pädagogischen Leiterin Renata Paluch und einer kurzen Frage- und Diskussionsrunde. Damit endete für die Gruppe das inhaltliche Programm der Fahrt. Nach der Ankunft in Breslau genoss die Gruppe in angenehmer Atmosphäre und gemütlichem Beisammensein den Abschiedsabend in einem Breslauer Restaurant, die für ihre traditionelle Küche bekannt ist.

Die Rückfahrt verlief wie auch die Fahrt nach Breslau ohne unplanmäßige Verzögerungen oder etwaige andere Probleme, sodass sich die Gruppe gemeinsam und vollzählig um die Mittagszeit zurück in Berlin einfand. Der Gedenkstätte Deutscher Widerstand ist für die Einladung sowie die gelungene Organisation dieser Fahrt zu danken, die den Teilnehmern noch lange in Erinnerung bleiben wird.

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