Gedenken zu 90 Jahren SA-Mordanschlag am Lister Turm in Hannover
Am 17. Februar 2023 hatte das Stadtteilzentrum Lister Turm zum Gedenken an den SA-Mordanschlag am Lister Turm am 21. Februar 1932 eingeladen. Auf der Festveranstaltung sprach unter anderem der Bundesvorsitzende des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold Dr. Fritz Felgentreu.
Bericht von Ralf Hermes, Sprecher Regionalgruppe Hannover
Anlass für die Gedenkfeier ist der 90. Jahrestag der Ermordung von Mitgliedern des Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, die in der Nacht vom 21. auf den 22. Februar 1933 am Lister Turm von SA-Leuten angegriffen wurden. Sie ist auch als „Feuerüberfall“ bekannt. Die 50 Männer der Reichsbanner-Schutzformation, die eine SPD-Veranstaltung schützen wollten, wurden aus dem Hinterhalt von der SA mit mehr als 150 Schüssen belegt. Dabei wurden 17 verletzt. Willi Großkopf und Wilhelm Heese erlagen sofort ihren Schussverletzungen. Ein weiteres Mitglied verstarb später. Die Beisetzung der beiden erschossenen Reichsbannermänner war eine der letzten Großdemonstrationen gegen das NS-Regime, bevor alle demokratischen Verbände verboten wurden.
Seitdem sind der 21./22. Februar in Hannover wiederkehrende Erinnerungstage, auch, um sich gemeinsam für eine Zukunft ohne Ausgrenzung und Gewalt einzusetzen. Zum 90. Jahrestag hatte der Förderverein des Freizeitheims Lister Turm ein vielfältiges Programm zusammengestellt: Für den Verein begrüßte Dr. Bala Ramani die ca. 130 erschienenen Gäste an dem für den Verein besonderen Tag, an dem Menschen für die Demokratie gekämpft hatten und für die Werte Freiheit, Rechtsstaat, Selbstbestimmung gestorben sind. Werte, die nicht selbstverständlich sind, wie es auch heute in Europa, aber auch in Amerika zu sehen ist. Daher von Dr. Ramani die Aufforderung, insbesondere heute mit dem Motto „Mut tut gut“ die Gegenwart aktiv demokratisch zu gestalten, um auch in Zukunft respektvoll demokratisch leben zu können.
Es folgte eine Rede des Ersten Bürgermeisters von Hannover Thomas Herrmann, der im historischen Saal des Lister Turms an die Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 erinnerte, die in Hannover dieses mit einem Fackelzug feierten. Viele Verhaltensweisen weltweit deuten heute darauf hin, dass autoritäre Regime erstarken. Das Jahr 2022 war das Jahr, in dem es erstmals wieder mehr autokratisch geführte Staaten gab, als demokratisch gewählte. Es gelte Haltung zu zeigen und Hoffnung zu bewahren.
Anschließende Programmpunkte gaben Einblicke in die demokratische Kinder- und Jugendarbeit in Hannover. So die Erläuterung des Podcast-Projektes „Kinderrechte“ an der Brüder Grimm Grundschule und das „Tagebuch der Gefühle“ der Integrierten Gesamtschule IGS List mit einem Kurzfilm über die Arbeit der Schüler.
Fritz Felgentreu, angereist aus Berlin, erinnerte zu Beginn seiner Rede an die Tragik der Weimarer Republik, dass sie nach dem Tod von Friedrich Ebert mit Paul von Hindenburg einen monarchistischen Reaktionär als Reichspräsidenten bekam. Dieser habe dann 1933 dem Führer der NSDAP Hitler auf legalem Wege das Tor zur Reichskanzlei aufgestoßen. Hindenburgs Richtungsentscheidung habe den Weg frei gemacht für Willkürherrschaft, staatlich sanktionierten Rassismus, für den Vernichtungskrieg und industriell betriebenen Massenmord, für Krieg, Gewalt und unermessliches Leid. Die Menschen, die am 21. Februar 1933 zum Lister Turm gekommen waren, um den Reichstagsabgeordneten Alfred Faust zu hören, konnten dieses damals nicht wissen. Hinnehmen aber wollten sie den Machtwechsel dennoch nicht. Sie setzten ihre Hoffnungen auf die letzte mehr oder weniger freie Wahl zum deutschen Reichstag. Bedroht wurden sie dabei vom Terror der Feinde ihrer Freiheit und sie wussten, dass diese die Führung des Staates bereits auf ihrer Seite hatten.
Felgentreu erinnerte an Alfred Jahn, den technischen Führer des Reichsbanners in Hannover, der den Schutz der Veranstaltungen leitete und zu einem der Verletzten des Feuerüberfalls zählt. Für Jahn sei der Abend des 21. Februar 1933 nur der Anfang eines langen Leidensweges durch Gefängnisse und Lager der NS-Diktatur gewesen. Felgentreu dankte im Namen des heutigen Reichsbanners der Stadt Hannover für die aktuelle Entscheidung, das Grab Alfred Jahns auf dem Ricklinger Friedhof zum Ehrengrab der Landeshauptstadt umzuwidmen. Jahn läge dort unweit von seinem Reichsbanner-Kameraden Kurt Schumacher, einem Mann, dessen Unbeugsamkeit angesichts der Tyrannei auch künftigen Generationen ein Beispiel für den Willen zur Selbstbehauptung aller Menschen mit demokratischer Gesinnung sein möge!
Felgentreu mahnte: „Der Wille zur Wachsamkeit und zur Selbstbehauptung von Demokratinnen und Demokraten bleibt notwendig. Wir sehen nicht nur in Russland, sondern vielerorts in Europa und auch hier bei uns, dass Demokratie und Rechtsstaat keine Selbstverständlichkeit sind. Sie haben Feinde, die etwas ganz anderes wollen und denen es auch immer wieder gelingt, das Vertrauen vieler Menschen in die freie Republik zu erschüttern. Ihnen entgegenzutreten und dieses Vertrauen zu stärken, das ist unsere gemeinsame Aufgabe.“
Es folgten anschließend beindruckende kulturelle Beiträge des Poetry Slammers Matti Linke und seiner Kollegin Antonia Josefa. Dazwischen ein Auszug aus dem Theaterstück „Flügel“, präsentiert von geflüchteten Jugendlichen aus der Ukraine und aus Hannover unter Leitung von Anton Telbizov in Kooperation mit dem Ukrainischen Verein in Niedersachsen.
Ergriffen von den Darbietungen der Jugendlichen verzichtete der Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetovic auf seine vorbereitete Rede zur Kranzniederlegung und sprach in klaren Sätzen seinen Dank und seine Hoffnungswünsche an die Jugendlichen und Betroffenen des Krieges in der Ukraine aus.
Die Kranzniederlegung, begleitet durch eine Delegation der Reichsbanner-Regionalgruppen Hannover und Süd-Niedersachsen, wurde ein würdiger Abschluss einer beeindruckenden Veranstaltung.
Impressionen
(c) Bilder: Manfred Wolter